Wo kann man heute noch Abenteuer mit Pferden zu erleben? Sicher bei Ausritten oder Kutschenfahrten über mehrere Tage in unbekannte Gegenden, vielleicht sogar andere Länder. Nun, soweit hat Harald Holla, der Breitensport Beauftragte vom Pferdesportverband Rheinhessen, nicht gedacht. Auch so wurde es eine abenteuerliche Reise mit mehreren Kutschen, für die Kutsche mit der längsten Anfahrt ca. 300 km.
Schon die Römer benutzten ab dem 2. Jahrhundert nach Chr. Reisewagen, aber erst im 15. Jahrhundert wurden die Kutschen wieder entdeckt, und zwar in Ungarn. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren sie dann das Reisemittel für Überlandreisen. In Mitteleuropa wird Gespannfahren heute fast nur noch als Hobby oder Sportartausgeübt.
Wer skeptisch war, ob sich dem Aufruf zu einer Kutschenfahrt von insgesamt fast 300 km überhaupt ausreichend Teilnehmer melden würden, wurde überrascht. Es fing mit vier Kutschen an, aber teilweise war der Tross sechs Kutschen lang und erregte entsprechendes Aufsehen, vor allem bei den Ortsdurchfahrten.
Fr. 17.07.2015 – Löllbach nach Wolfsheim, Anreise für einige Teilnehmer
Am Freitag den 17. Juli war es dann endlich soweit. Die beiden ersten Kutschen mussten erst einmal von Löllbach bei Meisenheim nach Wolfsheim kommen. Das Gespann von Norwegern wurde von Bubi Groß gefahren, das zweite von Ulrike und Martin Bolle mit vier Schimmelponys. Sie schafften die erste Etappe von 52 km in sieben Stunden. Für die Ponys keine so große Herausforderung, denn die gehen turniermäßig M und sie traben fast die gesamte Strecke. Ulrike meinte, es ist die Reisegeschwindigkeit der Pony und die können sie über längere Strecken problemlos bewältigen.
Das dritte Gespann, eine zweispännige Kutsche kam aus Hüffelsheim nach Wolfsheim. Sie schafften die über 20 km in fünf Stunden. Entspannung erst einmal für Pferde und Reiter. Übernachtet wurde in Wolfsheim, die Pferde im Stall bzw. auf der Koppel, die Reiter bei Nachbarn mit Zimmervermittlung oder bei Harald Holla.
Sa. 18.07.2015 – Wolfsheim nach Bretzenheim zum Stefanshof
Am Samstag den 18. Juli begann dann die gemeinsame Reise mit vier Gespannen, eines stieß noch aus Wiesbaden zu, und neun Personen, angeführt von Harald Holla, der diese Gegend wie seine Westentasche kennt. Ziel war der Stefanshof in Bretzenheim bei Familie Arnold. Da die Strecke nur 21 km lang war, brauchte man erst um die Mittagszeit starten und landete bereits am Nachmittag in Bretzenheim.
Am Anfang gleich ein steiler Anstieg nach Vendersheim. Harald hatte wegen der sommerlichen Temperaturen die Strecke weitgehend auf die Höhen gelegt, da gab es wenigstens etwas Wind zur Abkühlung. Vorbei an Stadecken Elsheim, die gerade an diesem Wochenende ihr Springturnier durchführten, und weiter über viele Feldwege bis zur nächsten Herausforderung, der Anstieg nach Klein Winternheim. Danach ging es meist bequem, unter der Autobahn durch, zum Stefanshof.
Die Pferde wurden in Außen-Paddocks untergebracht, konnten den Wasserverlust ausgleichen und sich mit Heu für den nächsten Tag stärken. Die Reiter fuhren zur Übernachtung nach Wolfsheim bzw. Wiesbaden zurück.
So. 19.07.2015 – Von Bretzenheim nach Hofheim - Wildsachsen
Zwei Kutschen gesellten sich am Sonntag der Gruppe dazu. Herbert Graaf mit Ernst Lindemann auf dem Kutschbock und einem Zweispänner mit Rudi Decker mit einer einspännigen Gig. Alle Pferde stehen in Hechtsheim, hatten also nur eine kurze Anfahrtstrecke zum Stefanshof.
Mit sechs Kutschen ging es durch das Zahlbachtal und über die Alicebrücke direkt nach Mainz. Kleiner „Kulturstopp“ am Fastnachtsbrunnen und Dom und großes Aufsehen in der Stadt. Der Rhein wurde über die Theodor Heuss Brücke überquert und danach ging es hinauf nach Erbenheim.
Ziel an diesem Tag war Wildsachsen, eingebettet in eine offene Wiesen- und Felder Landschaft und in einem Tal zwischen bewaldeten Taunusausläufern gelegen.
Bei einem Fahrkollegen von Wiesbaden, mit dem Harald schon öfter unterwegs war, kamen die Pferde auf einer Weide unter. Die Reiter fanden bequeme Hotelbetten im nahen Niedernhausen, also doch nicht so rustikal wie vielleicht gedacht.
Mo. 20.07.2015 – Von Wildsachsen nach Usingen zum Baudenbergerhof
Die längste Strecke der Hinfahrt lag am 20. Juli vor den Pferden, von Wildsachsen nach Usingen. Die größte erste Anstrengung kam nach etwa 17 km, als es mit einem Anstieg von 20 % bis auf 421 Meter hochging. Es war nicht die einzige Herausforderung an diesem Tage. Man ließ zwar den Feldberg, mit 900 Metern die höchste Erhebung in Hessen, an der Seite liegen, aber trotzdem mussten die Vierbeiner auf eine Höhe von etwas über 700 Metern hochklettern.
Kurze Unterbrechung auf einer Wiese bei Königstein. Herbert Graaf hatte sich einen platten Reifen eingefangen. Also kam das Ersatzrad drauf, der platte Reifen wurde später geflickt und kam wieder zum Einsatz.
Zum Glück führten viele Strecken durch den Wald und natürlich bekamen die Pferde vor und nach Anstiegen eine reichlich bemessene Pause gegönnt. Ab hier hatte sich Helmut Bernstein aus Wildsachsen mit auf einen der Kutschböcke gesetzt. Er leitete die Gruppe über gut zu fahrende Wege.
Die Wanderreiterstation Baudenberghof bei Usingen hat prima Übernachtungsmöglichkeit für Reiter und Pferd. Es ist ein kleiner, familiärer Pferdepensionsstall im Taunus ca. 30 km nördlich von Frankfurt und mitten im “Naturpark Hochtaunus”, den man bei der Vorplanung der Tour zufällig gefunden hatte. Verantwortlich für die Vorplanungen waren übrigens Harald Holla und Jürgen Groß, der ehemalige Vorsitzende vom Reitverein Löllbach, der selber häufig mit der Kutsche unterwegs ist.
Di. 21.07.2015 – Von Usigen nach Dromershausen bei Weilburg
Von Usingen aus führte die Strecke zum großen Teil durch Wälder, angenehm bei den sommerlichen Temperaturen. Allerdings musste hier teilweise die Planung umgeworfen werden. Reiter hatten berichtet, dass Unwetter die geplante Strecke so aufgeweicht hatten, dass sie mit Kutschen kaum zu passieren war. Also wich der Trupp auf wenig befahrene Straßen aus.
Drommershausen, im Grundbachtal, einem Seitental der Lahn, war erreicht und damit das Ziel an diesem Tage. Die Pferde mussten auf den Weidegang wegen der aufdringlichen Bremsen verzichten und in den Stall ausweichen.
Mi. 22.07.2015 – Ein Tag zum Ausruhen
Ein richtiger Faulenzertag. Lange ausschlafen. Geschirr und Kutschen gereinigt, kontrolliert und über Gott und die Welt geplaudert. Die Stimmung war entspannt nach dem was man schon überstanden hatte, man war optimistisch für die Heimfahrt.
Harald konnte dem Angebot von Ulrike und Martin Bolle nicht widerstehen, eine Fahrstunde vierspännig zu absolvieren. Da er mit der Handhabung der Leinen durch sein dreispänniges Fahren schon gut vertraut war, fiel ihm die Umstellung nicht schwer. Allerdings hat man für ihn ein paar extra Schleifen eingebaut, damit er oft umgreifen musste.
Drei hatten sich abgeseilt. Nur vier Kilometer war es zur barocken Residenz Stadt Weilburg mit einem sehenswerten Schloss und einem Schlosspark, der sich über mehrere Terrassen entlang der Lahn erstreckt.
Do. 23.07.2015 – Von Dromershausen nach Usingen
Es ging wieder auf den Rückweg: Fast die gleiche Strecke. Aufgrund der Erfahrungen von der Hinfahrt war es möglich, bei einigen Passagen abzukürzen und noch mehr Waldwege auszusuchen. Die Temperaturen waren sommerlich hoch geworden. Im Schatten angenehmer für die Pferde und die Reiter.
Endstation wieder die Wanderreiterstation Baudenberghof, die man schon von der Hinfahrt kannte.
Fr. 24.07.2015 – Von Usingen nach Wildsachsen
Die Fahrt von Usingen nach Wildsachsen wurde auf der Wiese bei Königstein unterbrochen, die man schon von der Geschichte mit dem platten Reifen kannte. Pause zum Tränken der Pferde.
Einer der Fahrer zog seinen beiden Pferden das Kopfgestell ab und ließ sie frei im Geschirr stehen, während er die Eimer zum Tränken füllte. Es stand zwar eine Person bei den Pferden, aber die hätte nicht voll eingreifen können, wenn etwas passiert. Und tatsächlich schreckte die Pferde plötzlich auf und begannen mit der Kutsche eine „Ehrenrunde“ zu drehen. Dabei steuerten sie die Kutsche eines anderen Teilnehmers an.
Die Kutschpferde, obwohl nicht mehr eingespannt, rissen sich ebenfalls los und landeten in Schneiderhain, von wo man sie später abholen konnte. Das Pferd mit der Gig verzichtete zum Glück auf einen längeren Ausflug und kehrte bald zum Stellplatz zurück. Eines der Unglückspferde landete unter der angesteuerten Kutsche, dass andere galoppierte zum Rettershof. Die angerufene Polizei war Helfer in der Not und verständigte die verstörte Reitergruppe, die alle Pferde wieder einsammeln konnte, nicht ganz ohne Blessuren. Die Stimmung war auf dem Tiefpunkt, denn dieser Zwischenfall hätte vermieden werden können.
Die Gruppe war gesprengt. Pferde und Kutschen konnten teilweise nicht mehr eingesetzt werden und so traten nur noch drei Kutschen den Heimweg an, die übrigen wollten so bald wie möglich nach Hause. Einige übernachteten in Wildsachsen und fuhren mit Kutschen und Pferden am nächsten Tag nach Hause.
Sa. 25.07.2015 – Von Wildsachen nach Wolfsheim
Es ging erstaunlich flott voran und so wurde schon bald darüber diskutiert, warum nicht die 50 km in einem Rutsch bis Wolfsheim durchzufahren? Ein Versuchsollte es wert sein.
Kurze Rast in Nordenstadt zum Tränken, dann ging es weiter. Die Wiesbadener Fahrer verabschiedeten sich und steuerten über Kastell Biebrich an. Die Rheinhessen passierten erneut Mainz, gaben ihren Pferden auf dem Stefanshof noch einmal reichlich Wasser zu trinken und landeten am späten Nachmittag in Wolfsheim.
So. 26.07.2015 Ausflug rund um den Golfplatz
Durch die schnelle Rückfahrt war ein Tag gewonnen. Die Pferde waren noch fit. Also entschloss man sich für eine kleine Runde um Wolfsheim und dem nahegelegenen Golfplatz. Am Nachmittag war Grillen angesagt.
Mo. 27.07.2015 – Von Wolfsheim nach Löllbach
Am Montag mussten noch zwei Kutschen nach Löllbach zurück. Das Abenteuer war für alle überstanden.
Zeit für einen kleinen Rückblick. Bis auf den Unfall auf dem Rückweg eine tolle Tour. Das Wetter spielte mit, außer einem kurzen Regenschauer bei Wildsachsen auf dem Heimweg, der vielleicht die Pferde zu einem flotteren Tempo anregte. Respekt bei der Fahrt zurück vor den Steigungen, welche die Vierbeiner auf der Hinfahrt bewältigt hatten. Gemütliche gemeinsame Stunden abends am Grill.
Damit stellt sich die Frage an Harald Holla, und die haben auch Teilnehmer gestellt. Wird es eine Wiederholung geben? Schnelle Antwort, nicht im nächsten Jahr, obwohl jetzt eine Strecke bekannt ist, die man noch leicht optimieren könnte, eventuell in zwei Jahren und dann in eine andere Gegend. Alternativ bot Bubi Groß für das nächste Jahr eine Fahrt im Hunsrück entlang des Ausonius Weges an. Vielleicht sieht man sich da wieder.
Dietmar Rodewald
21.08.2015